Dr. W. Strickling:

Vergleichende Untersuchungen zur Härte von Aufbrennlegierungen und die klinische Relevanz von Härteangaben

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4. Diskussion

Sowohl durch das Literaturstudium als auch aufgrund der durchgeführten Messungen kann festgestellt werden, daß eine Interpretation von Härteangaben schwierig, und ein Vergleich zwischen sehr verschiedenen Stoffgruppen, wie Zähnen und Metall oder Keramik und Metall, fast unmöglich ist. Ebenso ist die Bestimmung einheitlicher Umwertungsfaktoren für andersartige Stoffgruppen nicht möglich, da in die Härtewerte die unterschiedlichsten Materialparameter mit eingehen.

Wichtigste Kenngröße bei Härteprüfungen ist die Prüfkraft. Härteangaben ohne die zugehörige Prüfkraft sind deshalb nicht zu verwerten, so daß eine eindeutige Prüfkraftangabe dringend zu fordern ist.

Weiterhin ist zu fragen, inwieweit sich statische Härtemessungen  an spröden Stoffen wie Schmelz oder Keramik für allgemeine Werkstoffvergleiche eignen. Hier gewinnt die Forderung von BÜCKLE [16] besonderes Gewicht, nach der Messungen, die Risse hervorrufen höchstens für sich betrachtet werden können, aber nicht mit anderen Messungen verglichen werden dürfen. HABECK [45] schreibt, dass an spröden Werkstoffen bei allen Eindrücken, die mit Prüfkräften über 93,1 mN (10 p) erhalten worden sind, Risse nachgewiesen werden konnten. Versuche von HABECK mit Hilfe des VICKERS-Verfahrens an Keramik ergaben lediglich drei messbare von 17 schlechten Eindrücken [45]. Die eigenen Untersuchungen, nach denen fast alle Eindrücke rissig sind, bestätigen diese Ergebnisse

Somit können alle in der Literatur genannten VICKERS- und KNOOP-Härten nur unter Vorbehalten bewertet werden. HABECK empfiehlt statt statischer Tests die Verwendung von Ritzhärteprüfungen.

Für BRINELL- und ROCKWELL-Messungen vergrößern sich die Probleme noch mehr. In den eigenen Untersuchungen führten Prüfkräfte ab 613 N (62,5 kp) zur Fraktur des Zahnes. Selbst wenn andere Autoren keine Probenbrüche beschreiben, erhebt sich die Frage nach der Aussagefähigkeit solcher Messungen, vor allem der HRC. Außerdem kann für HRC am Schmelz die geforderte Mindestdicke der Probe kaum erreicht werden. Bei der BRINELL-Messung nach DIN 50 351 [30] beträgt die minimale Prüfkraft unter Verwendung der kleinsten Kugel mit 1 mm Durchmesser 98,07 N (10 kp). Eine weitere Verringerung der Prüfkraft würde Eindrücke ergeben, deren Durchmesser unterhalb des geforderten Minimum.vom 0,2-fachen Kugeldurchmesser liegen. Der mittlere Eindruckdurchmesser bei dem hier untersuchten Zahn betrug genau 0,2 mm. Somit sind auch alle BRINELL-Messungen an Zähnen und erst recht an Keramiken sehr kritisch zu bewerten.

Außerdem können Messungen der natürlichen unbehandelten Zahnoberfläche aufgrund ihrer Oberflächenkrümmungen kaum verwertet werden. ARENDS u. Mitarb. [7] empfehlen ein Planschleifen kleiner Areale. Die Verwendung "korrigierter KNOOP-Härten", wie von CALDWELL u. Mitarb. [17] empfohlen, birgt weitere Fehler in sich. Danach soll die Eindruckoberfläche durch Berücksichtigung beider Diagonalen errechnet werden. Es ist jedoch bekannt, daß die kurze Diagonale sehr stark der elastischen Rückstellung unterliegt [90, 119] , so daß diese als zusätzlicher Fehler in die Messung eingeht. Aber auch der Vergleich zwischen verschiedenen Legierungen ist aufgrund unterschiedlicher Verformungsmechanismen problematisch. Hier spielen unter anderem die Gefügestruktur und die Verteilung der intermetallischen Phasen eine Rolle [88], ebenso die Korngröße [161. Diese Faktoren wiederum hängen vom Gußverfahren, der Vorwärmtemperatur und Abkühlung sowie den Brandverläufen ab [39, 65, 88].

Des Weiteren wirken sich, wie in den vorliegenden Messungen gezeigt wurde, ungleichmäßige Härteverteilungen in der Probe auf die ermittelten Umwertungsfaktoren aus.

Häufig wird auf die Rolle der Kaltverfestigung während der Belastung aufmerksam gemacht 139, 90, 93, 119], da sie sich ebenfalls stark auf die Umrechnung auswirkt.

Aufgrund vielfältiger Untersuchungsergebnisse muß festgestellt werden, daß die Eindringhärte keine eindeutigen Aussagen über die Abrasionsfähigkeit [8, 46, 64, 108, 120], das Abriebverhalten [8, 46, 93, 106, 108, 117] und die Bearbeitbarkeit [13, 106, 111] zuläßt. Zu mechanischen Werten wie Festigkeit prothetischer Konstruktionen bestehen zwar Zusammenhänge, jedoch sollten zur Beurteilung solcher Eigenschaften besser physikalisch eindeutig definierte Werkstoffparameter, wie z. B. die Zugfestigkeit, die 0,2 %-Dehngrenze oder der Elastizitätsmodul benutzt werden.

Dem entsprechen Feststellungen, daß die Eindringhärte weder mit der Ritzhärte, noch mit dem Verschleißwiderstand, der Festigkeit oder der Duktilität übereinstimmt [60, 90, 108, 118, 129].

Unter diesem Aspekt sind alle Angaben, die die Härte mit einer der obigen Eigenschaften eindeutig in Beziehung setzen, kritisch zu beurteilen. Auch die Angabe maximaler [3, 23, 24, 26, 52, 115] oder "optimaler" [50, 133] Härtewerte für bestimmte klinische Anwendungen sind unter solchen Voraussetzungen schwierig.

Aus der klinischen Erfahrung kommt EICHNER [36] zu dem Schluß, daß der Frage der Härte weniger Bedeutung zukommt als angenommen werden mußte.

Aufgrund dieser Sachverhalte muß festgestellt werden, daß sich aus der Eindringhärte keine Rückschlüsse auf die klinische Eignung von Dentallegierungen ergeben. Statische Härteprüfungen sollten für Spezialuntersuchungen, z. B. von Gefügebestandteilen, Inhomogenitäten und ähnlichen Materialeigenschaften verwendet werden, also allgemein dort, wo die Belastungsform unwichtig ist [48].

Für Testmethoden von Werkstoffen wird im allgemeinen klinische Relevanz gefordert [124]. Die statischen Härtemessungen mit ihrer punktförmigen Belastung finden jedoch kaum eine Entsprechung im Munde. Im Gegenteil, wie WAGNER [123] feststellt, sind plastische Verformungen im Munde besonders unter Wechselbelastungen äußerst unerwünscht. Die Verformung des Werkstoffes durch plastische Vorgänge, Risse oder Brüche entspricht in keiner Weise der praktischen Situation und den klinischen Anforderungen.

Angesichts dieser Problematik wird schon heute in einigen Normentwürfen auf die Festlegung von Härtespezifikationen verzichtet [2, 25], da Härtewerte aufgrund der komplexen Natur der ihnen zugrundeliegenden Vorgänge nicht miteinander vergleichbar sind [2]. Normen haben unter anderem den Zweck, Vergleichswerte zu schaffen [37]. Wenn aufgrund der Härte jedoch kein Vergleich möglich ist, können Härtespezifikationen in Normen ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Durch eine Festlegung von Härtewerten könnte zudem die Entwicklung neuer Legierungen, die heute noch nicht abgeschlossen ist [111], behindert werden.

Zur Beurteilung dentaler Legierungen sollten deshalb besser geeignete Testverfahren, die in ihrer Belastungsform der jeweiligen Fragestellung angepaßt sind, benutzt werden. Als Beispiele seien folgende Größen und Verfahren aufgeführt:

Gegenüber der Härte haben die ersten drei Größen den Vorteil, daß sie physikalisch. exakt definiert sind und somit eindeutigere Rückschlüsse für das Verhalten unter der jeweiligen Belastung erlauben.

Auf die Wichtigkeit von Dauerbelastungstests weisen viele Autoren hin [65, 108, 123], da die Dauerbiegefestigkeit erheblich unter der einfachen Biegefestigkeit liegt.

Zur Beurteilung des Randschlusses und der Finierbarkeit wurden verschiedene andere Testmethoden angegeben. HÜLSHORST [51] und SCHWICKERATH [104] halten- den Tiefungsversuch nach ERICHSEN für geeigneter, MERINSKY [87] hat die Finierbarkeit direkt mit verschiedenen gebräuchlichen zahnärztlichen Werkzeugen geprüft.

Hinsichtlich der Problematik der Abrasionsfestigkeit kommt MEINERS [86] sogar zu dem Schluß, letztlich nur noch die klinische Beurteilung zuzulassen, da selbst Abrasionstests nur mit äußerster Vorsicht zu bewerten sind.


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