Dr. Wolfgang Strickling
Erstveröffentlichung in Interstellarum 20, S. 32-39
Eigentlich gehöre ich nicht zu den klassischen "Eclipse-Chasern", den Finsternisjägern, die jedem Vorkommen des Mondschattens auf unserem Globus auf Biegen und Brechen hinterherjetten müssen. Aber nachdem ich im August 1999 irgendwo in Frankreich metergenau auf der Zentrallinie im Regen hockte, da stand für mich fest: Das war der teuerste Regenguss meines Lebens... Die nächste Finsternis würde nämlich im tiefsten Afrika stattfinden. Nach längeren Debatten im Familienministerium gab es grünes Licht für die Expedition, unter der strengen Vorgabe: "Hoffentlich siehste was, damit endlich Ruhe ist!"
Und so kam, was kommen musste: Am 14. Juni 2001 fand ich mich am Frankfurter Flughafen in einem Trupp von fast hundert Finsternisbegeisterten, die Doris Unbehaun über Astronomie.de zusammengetrommelt hatte, wieder. Damit das Übergepäck nicht allzu schlimm an der Waage zerrte, haben einige der aktiven Beobachter schon im voraus ihre Fernrohre per Spedition nach Afrika geschickt, wo die Instrumente in Harare bis zu ihrem Einsatz eingelagert wurden. Aber der Mond warf seinen Schatten schon viel länger voraus: Das letzte Jahr war angefüllt mit Vorbereitungen, dem Test von Fernrohr und Ausrüstung, dem Zusammenstellen der Teleskope, Programmierung der Computer und der Abstimmung mit Mitbeobachtern über eine Mailingliste von Astronomie.de, die extra für diesen Zweck eingerichtet worden war.
Auf festem Boden in Afrika gelandet ließ ein herrlicher Sonnenaufgang und blauer Himmel alle Sorgen in Sachen Bewölkung erst einmal verfliegen. Viele Mitreisende erlebten in der folgenden Nacht ihr "First Light" des Südhimmels, obwohl die Sichtbedingungen von der beleuchteten Hotelterrasse mitten in Harare City kaum besser waren als bei uns im Ruhrgebiet. Groß war der Schreck am kommenden Morgen, als sich eine zwar langsam, aber beharrlich im Laufe des Tages dichter werdende Schäfchenbewölkung präsentierte. Es sollte doch wohl nicht wieder eine Neuauflage des Wetterkrimis von 1999 werden?
Zum Glück verzogen sich die Wolken gegen Nachmittag, so dass wir - wie an den kommenden Abenden auch - einen Sonnenuntergang der Marke "klassisch" fotografieren konnten. Bis zum Finsternistag haben wir dann kein Wölkchen mehr gesehen, was sich äußerst positiv auf unseren Seelenzustand während der Rundreise auswirkte. So konnten wir unbeschwert einige der kulturellen und landschaftlichen Schönheiten Simbabwes genießen. Vorurteile über Afrika, die sich vielleicht in unseren Köpfen eingenistet hatten, verflogen schnell angesichts der freundlichen Leute, der vorbildlichen Straßenverhältnisse und der perfekten Reiseorganisation.
Ein Erlebnis
der besonderen Art war der Nachthimmel, wie er sich an etwas abgelegenen
Hotelstandorten präsentierte. Nach Dämmerungsende konnte man das
Zodiaklicht so deutlich sehen, dass ich bis heute nicht verstehen kann, warum
ich es bislang noch nie wahrnehmen konnte. Der Anblick der Milchstraße
war überwältigend. Leider standen uns die Teleskope nicht zur
Verfügung, denn sie waren bis zum Finsternistag in Harare deponiert.
Aber aus Fotostativen, Teleobjektiven und mit etwas Improvisation war schnell
eine Hinterhofsternwarte zusammengestellt, die sich reichlichen Zulaufes
erfreute. Ein Hoch auf die Russentonnen und Stefans Traveller!
Auf unserer Rundreise vor der Finsternis, die uns zu vielen einmaligen Schönheiten des südlichen Afrika führte, konnten wir von Tag zu Tag das Annähern des Mondes an unsere Sonne beobachten (Abb. 1). Die schmale abnehmende Mondsichel sahen wir zum letzten Mal vom Dach unseres Hotels an den Victoriafällen 33 Stunden vor der Finsternis. Anschließend machten wir uns auf den Weg zum Ziel unserer Träume: In die Totalitätszone! Dort wartete auf uns ein luxuriöses Camp direkt am Fuße des Zambezi-Escarpments, des Steilabbruches vom afrikanischen Hochland ins Flusstal des Zambezi. Um einen möglichst weiten Blick ins Land zu haben, lagerten wir nicht exakt auf der Zentrallinie, sondern auf einer Anhöhe etwas südlich davon. Trotzdem hatten wir noch etwa 3 Minuten und 6 Sekunden Totalität zu erwarten und konnten eine hervorragende Rundumsicht über das Zambezi-Tiefland genießen.
Vom Flugzeug aus war schon zu erahnen, dass die Luft mittlerweile deutlich dunstiger als an den Vortagen geworden ist. Zu allem Überfluss streute irgendjemand in der Gruppe noch das Gerücht, auf CNN sei die Annäherung einer Wolkenfront ins Finsternisgebiet gemeldet worden. Als sich dann am Finsternismorgen über den Hügeln des Hochlandes erste Wölkchen bildeten, machten sich bei vielen Beobachtern ernste Fältchen auf der Stirn breit. Optimistisch gingen wir jedoch an den Aufbau und Check unserer Geräte. Leider hatten nicht alle Instrumente den Transport unversehrt überstanden, an einer Montierung war sogar der Schneckenantrieb vollkommen verbogen worden!
Ich habe jedoch Glück gehabt und meine Ausrüstung vollständig und intakt erhalten. Neben einer "Russentonne" (Spiegeltele 1000 mm 1:10), deren kleinem Bruder (500 mm 1:8) und zwei weiteren Fotokameras hatte ich eine kleine Wetterstation mitgebracht, die auf einem hohen Mast montiert wurde. Um die Finsternis auch visuell genießen zu können und sie nicht nur hinter dem Kamerasucher oder Displays von Messinstrumenten zu erleben, habe ich für einen Taschenorganiser eine Hardwareerweiterung und eine Steuersoftware für meine beiden Telekameras sowie zur Aufzeichnung der meteorologischen Messungen erstellt. Daneben standen unter meiner Regie noch drei Videokameras, die den an- und abziehenden Mondschatten filmen sollten. Für die Aufnahme der fliegenden Schatten haben wir eine vierte Videokamera auf ein großes Tischtuch gerichtet, das ich auf dem Boden ausgebreitet hatte.
Mittlerweile ist es Mittag geworden. Ein Blick in Richtung Berge bringt Erleichterung: Die Wolken haben sich aufgelöst! Meine Laune steigt wieder, solange bis ich feststelle, dass die Nachführung nicht läuft. Zum Glück hatte ich mir aus der Mailingliste notiert, dass Wolfgang Paech sein Multimeter mitnehmen wollte, so dass der Fehler in der Elektrik schnell gefunden war und provisorisch repariert werden konnte. Anderenfalls hätte ich auf eine Notfallbatterie zurückgreifen müssen, die mich wenigstens über die Totalität gerettet hätte. Zu meinem Erstaunen bin ich auch nicht der einzige, dem die Elektrik einen Streich spielt, denn kurz vor der Finsternis sind etliche Mitbeobachter von technischen Defekten, leeren Batterien und geplünderten Filmvorräten an die Grenze des Wahnsinns gebracht worden. Schon 1999 hatte ich deshalb alle Kabel, Batterien und wichtige Schräubchen in mindestens doppelter Ausführung mitgeschleppt, was sich auch dieses Mal wieder als sehr wichtig erwiesen hat!
Als schließlich alles funktioniert,
schaue ich mich um und sehe schon die ganze Belegschaft wie gebannt durch
ihre Finsternisbrillen starren. Ein Blick auf die Uhr sagt: 13h 47m, in 90
Sekunden wird es losgehen! Das gemütliche Aufbauen in Ruhe habe ich
mir eigentlich anders vorgestellt. Schon ruft jemand: "Erster Kontakt!" Durch
meine Russentonne ist der Todeskuss des Mondes gut zu sehen, und kurze Zeit
später erkennt man ihn auch ohne optische Hilfsmittel beim Blick durch
die Finsternisbrille. Die Sonnenscheibe wird von einigen schönen
Fleckengruppen geschmückt, von denen die größten auch schon
ohne Fernrohr auszumachen sind (Abb. 2).
Die folgenden 80 Minuten bis zur Totalität vergehen wie im Fluge. Beim
Schattenspielen mit den Fingern oder mit meiner "Multi-Lochkamera" kann man
den Fortgang der Finsternis auch auf unserem Tischtuch gut
verfolgen
(Abb. 3). Schon nach 20 oder 30 Minuten, kurz nachdem der Mond die großen
Sonnenflecken verdeckt hat, meint man durch die reduzierte Wärmestrahlung
eine leichte Abkühlung zu verspüren, obwohl das Thermometer noch
keinen deutlichen Abfall der Lufttemperatur zeigt. Etwa 20 Minuten vor dem
zweiten Kontakt merkt man schließlich, dass die Beleuchtungsstärke
deutlich reduziert ist. So lange Zeit kann sich das Auge noch anpassen. Die
Landschaft erscheint jetzt, als würde man durch ein Graufilter blicken.
Da der Himmel komplett wolkenlos ist, empfinde ich anders als 1999 aber keine
Gewitterstimmung, wie sie sonst so oft beschrieben wird. Der Wind weht, von
wenigen schwachen Böen abgesehen, nur schwach. Das sollte sich auch
während und nach der Totalität nicht ändern. Der vielbeschriebene
Finsterniswind ist also ausgeblieben.
Mit der immer
schmaler werdenden Sonnensichel steigt die Spannung unter den Beobachtern
mehr und mehr an. Als die Sichel nur noch ein gleißender Schlitz am
Himmel ist, ruft plötzlich jemand: "Die fliegenden
Schatten, sie werden sichtbar!" Ich eile zu unserem Tuch und sehe ein
unruhiges und sich turbulent bewegendes Muster. Am Westhorizont wird es jetzt
auch deutlich dunkler. Die sich überschlagenden Ereignisse, der Anblick
des herannahenden Mondschattens und die über uns hereinbrechende Dunkelheit
lenken mich von der weiteren Beobachtung der fliegenden Schatten ab, so dass
ich mir die parallel laufenden Schattenbänder, die einige Sekunden
später erscheinen, erst nach der Finsternis auf unserem Video ansehen
kann (Abb. 4).
Die Helligkeit nimmt in den letzten Sekunden so schnell ab, als würde jemand mit einem Dimmer das Licht ausdrehen. Der folgende Anblick der Korona überrascht mich dann erst einmal. Ich habe zwar schon Hunderte von Bildern und Fotos gesehen, aber nichts gleicht dem, was dort oben am Himmel steht. Nicht ein heller runder Kranz ist zu sehen sondern ein Strahlengebilde! Mein erster Gedanke ist: eine Dornenkrone. Viele feine grazile Stacheln ziehen sich weit nach außen in den tiefblauen Himmel hinein. Der Blick durch den Feldstecher ist grandios: Es sind unzählige Strahlen und Verästelungen in der Korona und einige schöne Protuberanzen zu sehen (Abb. 5). Für meine nächste Finsternis wünsche ich mir extra zur Beobachtung der Koronastrukturen und der Protuberanzen zusätzlich ein kleines Teleskop mit moderater, etwa 30facher Vergrößerung.
Nach
einem kurzen Kontrollblick durch die Kamerasucher starte ich das vorbereitete
Programm in meinem Organiser, das die Steuerung der Fotoapparate übernimmt.
So habe ich etwa eine Minute Zeit zum Beobachten, während der die Kameras
laufen. Etwas unterhalb der Sonne ist der Planet Jupiter als heller Stern
nicht zu übersehen. Auf meinen Dias ist Merkur später als recht
schwaches Sternchen dritter Größe dicht daneben auszumachen. Weitere
Fixsterne sind mir nicht aufgefallen, obwohl sie auf den Videos und Fotos
gut erkennbar sind und einige Beobachter alle großen Wintersternbilder
gesehen haben wollen.
Die Finsternismitte ist noch nicht erreicht, da glimmt am Westhorizont wie die beginnende Morgendämmerung ein orangeroter Schein auf, der heller und breiter wird und der das Ende des Mondschattens ankündigt. Ich schaue aber immer wieder nach oben oder zücke den Feldstecher und genieße den Anblick der überwältigenden Koronastrukturen. Langsam, aber unaufhaltsam wird nun der untere Sonnenrand heller und der Mond gibt allmählich die Protuberanzen auf dieser Seite frei. Da noch etwas Filmmaterial zur Verfügung steht, werden schnell noch einige Fotos gemacht, bevor die blendend helle Photosphäre durch die Täler am Mondrand wieder hervortritt (Abb. 6). Mit dem Wiederkehren des Lichtes bricht stürmischer Applaus in der Gruppe aus. Leider habe ich das vorbereitete Fotoprogramm für den Diamantring etwas zu spät gestartet, so dass die schöne Perlenkette, die sich nach dem dritten Kontakt für wenige Sekunden ausbildet, nicht auf meinen Bildern verewigt wird.
Und ganz
plötzlich ist es wieder taghell. Nicht dämmerig, kein sanft gedimmter
Übergang oder aschfahles Licht wie im Graufilter, keine Anspannung wie
vor der Totalität! Nein, es ist von einer Sekunde auf die andere strahlend
heller Tag! Auf den Bergen im Osten ist noch für fast eine Minute eine
leichte Abschwächung des Lichtes zu bemerken, dann ist das ganze Spektakel
vorüber. Ich bin überglücklich, endlich nach Jahren der
Vorbereitung dieses ergreifende Ereignis erlebt zu haben. Auch mein Fotoprogramm
hat - von wenigen Patzern abgesehen - gut geklappt. Auf den Videos sind sogar
noch fliegende Schatten nach den dritten Kontakt zu sehen, obwohl sie niemandem
aus unserer Gruppe aufgefallen sind.
Die Stimmung in der Gruppe ist nun ausgelassen und freudig erregt. Die ganze Anspannung hat sich mit dem Applaus am dritten Kontakt stürmisch entladen. Mehr spielerisch basteln wir an unseren Teleskopen herum und machen erst jetzt einige Aufnahmen der großen Fleckengruppen mit Okularprojektion (Abb. 2), was eigentlich schon vor der Totalität geschehen sein sollte.
Beim Austausch
unserer Eindrücke vergesse ich ganz meine Kameras. Sie sollten ja eigentlich
alle fünf Minuten ein schönes Bildchen machen, damit ich später
eine Reihenaufnahme daraus montieren kann (Abb. 7). Zum Glück hat mein
Organiser die Lage im Griff und arbeitet zuverlässig sein Programm ab,
so dass ich nur gelegentlich einen kurzen Kontrollblick auf die Instrumente
werfe. Zu einem konzentrierten Beobachtungsprogramm fühle ich mich auch
nicht mehr in der Lage.
Erst jetzt
spüre ich, dass es sehr viel kühler geworden ist. Das Bodenthermometer
ist von über 32°C vor der Finsternis auf knapp 21°C gefallen.
Auf dem Mast in 4-5 Metern Höhe ist die Temperatur immerhin noch von
gut 30° auf 22,5°C abgesunken. Nach der Finsternis wird es erst
mit deutlicher Verzögerung wieder wärmer (s. Abb. 8).
Am Abend sitzen wir noch lange in unserem Gemeinschaftszelt, diskutieren die Eindrücke und tauschen die Videobänder untereinander aus. Eigentlich sind noch einige Aufnahmen des Südhimmels geplant, aber dazu kommt kaum jemand. Wir sind mit den Gedanken einfach ganz woanders, als hätte der Mondschatten auch unsere Konzentration mitgenommen. Immer noch überwältigt von den Eindrücken geht dann am folgenden Tag die Fahrt zurück nach Harare, wo uns das erste zunehmende Mondlicht zum Abschied aus Afrika grüßt (Abb. 9).
Zur Realisierung
meines umfangreichen Videoprojektes hat sich die vorherige Koordination der
Reiseteilnehmer über eine Mailingliste sehr bewährt. Mein Dank
gilt vor allem Herrn Dr. Andreas Dahm für die Bereitstellung einer Kamera
zur Aufnahme der fliegenden Schatten sowie Doris Unbehaun und Günther
Bendt für die Mitnahme von Kameras zum Filmen des Mondschattens.
© Dr. Wolfgang Strickling, Drususstr. 15, 45721 Haltern am See. Tel: (0 23 64) 16 76 91
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Erstveröffentlichung in
Interstellarum 20, S. 32-39.
Erstellung dieser Seite am 09.04.2003.
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